Mittwoch, 8. November 2006

ersten Eindrücke aus Österreich

….ich schreibe nach zweieinhalb Wochen Österreich. Inzwischen schon wieder halbwegs eingelebt, aber noch verwirrt von den Menschen hier – und natürlich von mir. Ich schreibe so spät, weil ich unendlich langsam geworden bin. Vollkommen uneffizient. Möchte so viele Sachen machen, aber chill eigentlich nur den ganzen Tag. Mein Zimmer schaut aus wie Sau. Und es ist mir egal. Ich schaff’s einfach nicht es aufzuräumen. Jedes Mal wenn ich mir mal wieder vornehme Ordnung zu schaffen, bleibe ich vor meiner Anlage stehen, spiele tausend verschiedene CDs, blättere durch mein Bücherregal, geh einfach nur spazieren (vom Bett zum Schrank, und zurück zum Bett), schaue meinen Kleiderschrank durch, beobachte den Herbst durch mein Fenster, warte auf den Winter und freu mich über den ersten Schnee oder ruf einfach nur ein paar Freunde an und treffe mich dann mit ihnen im schönen Wien.
Das erste Mal in meinem Leben hab ich mir eine Monatfahrskarte für Wien gekauft. – Früher bin ich immer schwarzgefahren -. Aber ich glaube ich habe es verlernt mit den Kontrolleuren umzugehen. Weiß nicht mehr, wie sich eine cachierte Schwarzfahrerin verhält. Muss erst die europäische Menschen wieder einschätzen lernen.
Das Leben hier ist so einfach. Ich hatte das schon vergessen.
In Madagaskar wurde ich oft gefragt, wie das Leben hier ist. Ob wir es leicht haben oder nicht. Und dann hab ich immer gesagt: ja, wir haben viel Luxus aber wir müssen genauso kämpfen wie ihr. Wir haben auch viele Probleme und arbeiten hart. – aber jetzt wo ich hier bin, fällt mir erst wirklich auf wie gut es uns geht. Der Luxus ist so groß. Wir haben so viele Freiheiten. Können tun was wir wollen. Und ich nutzt es voll aus. Gehe viel feiern, setzt mich oft ins Kaffeehaus, gehe einfach mal im Wald laufen, nehm das Auto und besuch Freunde… - alles Sachen die ich in Madagaskar nicht machen konnte, weil es einfach nichts gibt. Gibt nichts zum weggehen, gibt keine Kaffeehäuser, die Luft ist so verschmutzt in Tana dass man nicht laufen gehen kann, das Benzin viel zu teuer um die Autso zu benutzen und das öffentliche Verkehrssystem nur bis um 19:30 aktiv.
Ich genieße den Herbst, den Regen und den ersten Schneefall. Ich habe genug von Sonne. Fast vier Monate schönes Wetter, dass ist mir zu happypeppy. Wirklich wahr. Wie komisch das auch klingt: Ich glaube der Mangel unser vier Jahreszeiten wäre der erste Grund warum ich nicht dauerhaft in Madagaskar bleiben könnte.
Aber auch der Fortschritt haut mich vom Hocker. Der Bahnhof wurde umgebaut (es gibt es eingezäumte Fahrradständer), auch die Züge wurden ausgetauscht, die Post ist renoviert und überall schießen neue Gebäude aus dem Boden. – ja auch in Madagaskar gibt es Baustellen. Aber nichts bewegt sich. Das Geld fehlt. Man fängt eine Sache an, kann sie aber nicht zu Ende bringen. Die Mittel fehlen. (und das nicht nur bei Straßen, Häusern, Wasserleitungen etc., sondern auch bei Ausbildungen. Die Schule, das Studium, die Fortbildungen müssen ständig abgebrochen werden weil es kein Geld mehr gibt).

Ich hatte Angst, die Menschen hier in Österreich würden mir gestresst, kleinkariert, kompliziert und unfreundlich vorkommen. Aber bist jetzt hat sich das gar nicht bestätigt. (Außer unser Nachbar – der ist wie immer der gleiche geblieben. Hat uns gleich nach meiner Ankunft ein Ei aufs Autodach geschmissen). Aber sonst? Gleich am ersten Tag hat eine Frau ihr Autofenster heruntergekurbelt und mir über die Straße zugerufen, wie schön sie meine Frisur findet. Ich habe mich lange mit einem alten Mann über das Laub dieses Jahr unterhalten und der freundliche Angestellte in der Bank hat sich außerordentlich reizend um meine geklauten Bankomatkarte gekümmert. Ich war wirklich gerührt. Vorher noch, in Madagaskar, hatte ich einen Monat gebraucht bis ich endlich meinen Flug rückbestätigt hatte. Die Angestellten zu langsam und unkompetent, das Land zu arm und unterentwickelt um guten Service leisten zu können (so reicht das Geld nicht aus, um für mich von einem Air France Büro zum anderen zu telefonieren um meinen Flug rück zu bestätigen). Und hier, wir haben einfach alles.
Ich schleudere auch nur so mit dem Geld um mich. In Madagaskar war es mir zu teuer gewesen eine kleine Plastikflasche Wasser für 15 Cent zu kaufen. Es war mir zu teuer gewesen meine Fotos entwickeln zu lassen (ebenfalls 15 Cent pro Stück). Auch Schokolade und Milchprodukte waren mir zu teuer gewesen. Es stand einfach in keinem Verhältnis. Ich konnte nicht viel Geld ausgeben, wenn ich an die vielen Kranken im Spital dachte. Oder Nzato, der kleine Junge vom Fußballverein der täglich 4 Stunden Fußmarsch für seinen Schulweg hinter sich bringt, weil das Geld für den Bus nicht reicht (10 Cent pro Fahrt). Aber hier? Wir geben schon beim weggehen 10 Euro pro Abend aus. Düsen mit dem Auto in die Stadt und zurück. Gehen ins Kino, in Konzerte. Heizen unserer Häuser, gehen warm duschen.
Und ich genieße es alles. Habe kein schlechtes Gewissen und wundere mich oft selbst darüber. Es ist einfach ein riesiges Glück in der westlichen Hemisphäre geboren worden zu sein. Wir sind alle Glückskinder. Ich habe mir diesen Reichtum nicht ausgesucht (wurde einfach hinein geboren), muss mich also auch nicht dafür schämen sondern versuche einfach alles 200% zu schätzen.

Und trotzdem, auch wenn ich noch weitere Lobeshymnen über Europa singen könnte, ich vermisse doch auch so vieles. Wo sind die Menschen auf der Straße? Wo sind die Gesänge der Nachbarkinder? Wo, der ständige Optimismus? Wo das Vertrauen in sein Schicksal – und natürlich Gott? Wo die Großfamilie, die ständig für einen da ist? Wo die vielen freundlichen Gesichter die ständig lachen und grüßen und für die es keinen schlechten Tag gibt?
Unsere Welt ist doch oft so verkehrt, so unnatürlich und abstrakt. Wenn ich die Zeitung lese, dann fällt es mir so richtig auf. Vor kurzen – ein Artikel über das Stillen. Unsere Frauen habe verlernt ihre Kinder zu stillen. Wir müssen schnellstens Kurse dafür einrichten. Oder die Gesundheitsministerin Rauch Kallat: empfiehlt jedem Österreicher Schutzmasken gegen eventuelle Grippeviren aufzusetzen. Auch ein Soziologe befürwortet beim Ausbruch der Grippeepidemie, das traditionelle Händeschütteln abzuschaffen. Die Ansteckungsgefahr sei zu groß.

Da bin ich also wieder, in Europa und erlebe eine völlig verdrehte Welt. Ich habe bereits mein Praktikum hier im Spital in Wien angefangen, und auch diese Arbeit ist um 180° anders. Wir waschen und füttern alte Leute, die niemanden mehr haben der sich um sie kümmert. Wir rollen sie von der einen Seite auf die andere. Wir bringen ihnen drei Mal am Tag essen, öffnen das Fenster wenn es zu heiß ist, streicheln und peppeln sie. – Für einen Madagassen wäre das ein 5-Sterne Hotel. Doch hier? Niemand ist glücklich in seiner Rolle. Das Essen ist schlecht, laut Kranken die Pfleger eine Zumutung. (Nach der Frage warum das so sei die Antwort: „na schauns doch. Das sind ja alles Ausländer“). Wirklich ein trauriger Anblick. Aber mir macht die Arbeit sehr viel Spaß. Das Ärzte- und Pflegerteam ist wirklich nett und unsere Arbeit sehr sinnvoll.

Ich hätte noch so viel zum schreiben, aber versuche jetzt erst mal die letzten beiden Wochen in Madagaskar Revue passieren zu lassen bevor sie aus meiner Erinnerung verschwinden. – aber leider ist es jetzt schon wieder zu spät und ich werd hoffentlich am Wochenende wieder mal Zeit finden weiter zu schreiben!
Kaweechelchen - 9. Nov, 22:53

Weißt du schon neues, wegen deinem Studienplatz?

eduard hartmann - 30. Nov, 15:35

JA, pia hat den studienplatz

in herdecke bekommen. (ist total glücklich, verdienter- und verständlicherweise)
ich schreibe das für pia, da pia zuhause gerade keinen online-zugang hat wg. neuem provider.
eduard h
Kaweechelchen - 1. Dez, 23:42

*tröööötttttttt* jippie!danke und glückwünsche an sie!

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Pia.H - 8. Dez, 02:30
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Kaweechelchen - 1. Dez, 23:42
JA, pia hat den studienplatz
in herdecke bekommen. (ist total glücklich, verdienter-...
eduard hartmann - 30. Nov, 15:35
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Weißt du schon neues, wegen deinem Studienplatz?
Kaweechelchen - 9. Nov, 22:53
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….ich schreibe nach zweieinhalb Wochen Österreich....
Pia.H - 8. Nov, 21:30

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Zuletzt aktualisiert: 4. Sep, 02:01

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