Dienstag, 5. September 2006

sososo

..und jetzt der Bericht den fast jeder Reisende einmal schreibt…; mein Pass und noch ein bissl mehr wurden geklaut. Im Krankenhaus. Gott sei Dank hätte es wie immer auch schlimmer kommen können aber trotzdem zeigt sich Madagaskar von seinen schlechteren Seiten. Ich war gerade vorher so glücklich gewesen aber jetzt lern ich die Leute mal anders kennen. Das ganze ist Donnerstag passiert. Ich hab meine Tasche wie meistens neben dem Operationssaal gelassen. Das Gute ist, dass ich mein Handy bei mir hatte und meinen Fotoapparat zu Hause. Das Schlechte ist, dass ich zur Bank gehen wollte und deshalb meinen Pass, zwei Traveler Checks und mein Karten (Bankomat und Credit) dabei hatte. Außerdem den Schlüssel von hier. Ich hatte von Donnerstag auf Freitag Nachtdienst und mir ist es erst am Freitagmorgen aufgefallen. Der Chefarzt hat gleich eine Versammlung mit allen Angestellten einberufen und ich habe erklärt dass ich nicht böse bin. Bin ich auch nicht. Kann ich gut verstehen dass man das nimmt. Na, auf jeden Fall hab ich gebeten mir den Pass wieder zu geben. Aber bis jetzt ist nichts aufgetaucht, glaub auch nicht dass noch was auftaucht. Keine Ahnung wer das Zeug genommen hat. Ist mir eigentlich auch egal. Den Pass kann ich schon wieder organisieren, die Karten sind schon gesperrt, dass heißt das ganze ist nur halb so wild (…Ach Papa, du wirst dich wieder mal über mich ärgern. Aber hast eh recht…). Für mich ist das schlimmere, wie die Leute hier reagieren. Ich bin sehr traurig und schockiert. Als ich heute (Samstag) ins Krankenhaus gekommen bin haben mich gleich verschieden Leute zur Seite gezogen und mir gesagt dass ich aufpassen muss. Sie haben gemeint, die Angestellten in der Chirurgie (die ich bis jetzt eigentlich am coolsten fand) „deteste-moi maintenant“ (hassen mich jetzt). Weil sie natürlich des Diebstahls verdächtigt werden. Mir wurde sogar geraten nicht mehr in der Chirurgie zu arbeiten sondern sofort die Station zu wechseln weil sie wohl so sehr auf mich schimpfen. Ich war echt traurig. (Am Donnerstag hat mir noch jemand erzählt dass gerade die Leute in der Chirurgie sich so freuen dass ich mit ihnen arbeite und mich wirklich gern haben). Ich bin dann eine Weile nur herumgestanden und hab nicht gewusst wo ich hin gehen soll. Dann bin ich einfach in die Chirurgie gegangen (weils mir ja dort vorher am besten gefallen hat). In der Chirurgie hab ich dann mit den Leuten geredete und gesagt dass ich sehr unglücklich über dass bin was ich hier höre aber eigentlich interessiert es mich nicht. Ich verdächtige niemanden und werde mich auch für sie einsetzten dass mit ihnen nichts passiert (…weil angeblich greift der Chefarzt bei solchen Sachen hart durch) und hoffe dass wir weiter gut miteinander klar kommen. Und es gab bis jetzt noch keine Probleme. Eigentlich sind sie so cool wie vorher. Ich hoffe dass in einer Woche die ganze Geschichte vergessen ist. Aber im Moment bilden sich Gruppen, wer auf welcher Seite ist und wer wen verdächtigt und und und… Jeder gibt mir andere Ratschläge. Ich höre auf keinen. Am Montag geh ich zur Botschaft.
Ich hab ansonsten eine arge Woche hinter mir. Ich hab meine erste eigene Patientin und heute eine Beschneidung in einem Dorf durchgeführt. Außerdem gibt’s eine neue Mitarbeiterin, eine Deutsche die Hebamme ist. Aber ich fang vorne an.
Unser Pastor ist entlassen worden. Ich bin glücklich und traurig. Ich hab ihn jetzt immerhin jeden Tag gesehen. (Die Deutsche Hebamme war übrigens entsetzt dass man nach einer Gehirntumoroperation nur zwei Wochen stationiert bleibt).
Am Montag haben wir zwei Prostataoperationen durchgeführt. Die sind ziemlich langweilig, weil wieder nur mit Kamera operiert wird. Dass heißt ich kann nichts helfen. Die erste Operation hat sehr lange gedauert (über zwei Stunden, für eine Prostataoperation sehr lange) und der Patient, schon 80 Jahre alt, hat sehr viel Blut verloren. Im „Salle-de-reveille“ (Aufwachsaal?) haben wir ihm dann alle unsere Jacken gegeben und ich habe versucht ihn einzuschläfern. Er war ziemlich unruhig. Ich hab’s mit deutschen Schlafliedern versucht aber ohne Erfolg. Nach einer Stunde musste ich gehen, weil wir eine zweite Operation hatten. Als ich danach wieder gekommen bin hat er dann geschlafen und ich bin froh noch Hause gegangen. Am nächsten Tag bin ich gleich zu ihm gegangen und war erfreut zu sehen, dass niemand mehr da ist. Hab gedacht er ist schon in seinem Zimmer. Aber er ist noch am Vorabend gestorben.
Ziemlich traurig. Der Arzt war auch sehr schockiert. Das war schon der zweite Patient innerhalb von 5 Tagen der an dieser Operation gestorben ist. Trotzdem hat er am gleichen Tag noch weitere Prostataoperationen durchgeführt. Ich bin eine Weile nur dagestanden und hab gar nicht gewusst was ich denken soll. Man redet mit jemandem und zwei Stunden später ist er tot. Also ist nicht mehr. Ich bin sehr traurig. Aber der Tod ist so normal. Und wir können eh nichts ändern. Gott sei Dank war der Mann schon 80 Jahre alt. Das ist ein halbes Relikt hier in Madagaskar. Und für uns geht das Leben normal weiter. Ich glaube für den Arzt muss es am schlimmsten sein. Er hat mir erzählt er konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Der Arme. Aber inzwischen geht es ihm besser. Da haben die Madagassen es echt gut, dass sie gläubig sind. Der alte Mann ist jetzt im Himmel.
Am Mittwoch ist dann eine neue Patienten die an Depressionen leidet in den „Service Clinique“ gekommen (da arbeite ich nicht) aber sie haben mich geholt und gefragt ob ich helfen kann. Ich bin zur ihr ins Krankenzimmer gekommen und die Frau (25 Jahre alt) ist mir gleich weinend um den Hals gefallen und hat mir ihre ganze Geschichte erzählt. Vor ungefähr zwei Jahren hat sie angefangen im Internet nach Männer zu suchen und hat einen Mann in Deutschland gefunden (Mitte 40) der ihr die Reise finanziert hat und sie „bei sich aufgenommen hat“. (Das ist übrigens schon die zweite junge Frau dich ich hier kennen lerne, die das macht. Die Mädels sind hier echt verrückt nach Geld und Luxus). Sie ist zu ihm geflogen und er hat sie auch wirklich vom Flughafen abgeholt. Er hat eine Firma und sie wohnt bei ihm (in der Wohnung über seinem Büro). Er hat ihr alles finanziert und sie hat fleißig seinen Haushalt gemacht und die Sprachschule besucht. (Ich glaube sie ist sehr gescheit, denn sie spricht wirklich sehr gut deutsch. Wir reden Deutsch miteinander).
Sie liebt ihn. Er war so gut zu ihr, meint sie. Er hat ihr Blumen mit zum Flughafen gebracht. Rosen.
Ich kann mir das echt nicht vorstellen. Aber die beiden haben sich echt ineinander verliebt. Das Problem ist, dass sie nicht arbeiten darf. Sie will aber viel Geld haben um ihrer Familie etwas zu schicken. Außerdem möchte sie im Luxus leben. Sie möchte nicht bei Pimky, Orsay oder C&A einkaufen. Sie möchte einen guten Computer haben. Also hat sie angefangen in der Firma von ihm zu Putzen – gemeinsam mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter. 2 Stunden in der Woche für 400 Euro im Monat. (…so einen Job such ich auch…). Ihre Schwiegermutter hat ihr nur 200 Euro gegeben. …ich glaube so hat der ganze Streit angefangen. Ihr reicht das nicht.
Na, auf jeden Fall wollte sie jetzt zurückfliegen um ihre Familie zu besuchen. Er hat sie nach Paris gebracht und sie „fühlten sich wie die einzigen Menschen auf dieser Welt“. Aber kaum angekommen in Mada, schreibt er ihr ein SMS sie passen nicht mehr zusammen. Die Beziehung ist aus.
Lala (so heißt sie) ist in den Hungerstreik getreten. Und so hat ihre Mutter sie ins Krankenhaus gebracht. So schwach, dass sie nicht mehr stehen kann. Sie hängt jetzt am Tropf und ich verbringe meine ganze Zeit bei mir und versuch sie in die Realität zu holen. Die gute Lala will nicht mehr in Madagaskar leben. Von einem Tag auf den anderen hat sie ihre große Liebe verlassen, und ein Leben in Deutschland ist auch nicht mehr möglich. Aber sie will so schnell wie möglich wieder nach Europa. Nur wie? Ich hab auch keine Ahnung. Ihre beste Idee, sich schnell wieder einen anderen Mann im Internet zu suchen, hab ich ihr glaub ich (hoffe ich) schon ausgeredet. Sie isst auch schon wieder. Aber das ganze ist echt schlimm. Ich weiß oft nicht was ich sagen soll. ---- ich sitz grad auf meinen Balkon und es kommt eben ein Umzug vorbei. Mit Musik und so weiter. Die Leute gehen einen Verwandten aus dem Grab holen (das machen sie alle 7 Jahre). Da geh ich jetzt mit. Ich schreib nachher weiter!

04.09.06
…also, da bin ich wieder. Wir konnten gestern leider nicht mitgehen. Die Zeremonie war in einem Haus. Schade. Die holen die Toten aus dem Grab und essen dann mit ihnen. Auch wenn nur noch das Skelett da ist. Sie füttern sie sogar.

Im Krankenhaus passt heute wieder alles. Ich war auch schon bei der Botschaft und bekomme einen Passersatz. Ist alles ziemlich unkompliziert, nur leider sehr teuer (Pardon, Papa). Meine Patientin isst wieder und es geht ihr schon besser! Eine andere Freundin hat heute ein Kind im Krankenhaus zur Welt gebracht. Ein kleiner Junge. …vor der Geburt hat sie gesagt wenn es ein Mädchen wird, nennt sie es Pia. Die Frauen hier sind echt alle so mutig. Sie verziehen ihr Gesicht und schon ist das Baby da. Ich hab bis jetzt noch keine Frau schreien gehört. Als ich den Frauen hier gesagt hab wie mutig ich sie finde haben die Hebammen gesagt, dass sind nur die „Vazas“ (Weißen) die schreien! Am Mittwoch ist eine Deutsche, Tanja, ins Krankenhaus gekommen. Sie bleibt hier für drei Jahre und arbeitet als Hebamme. Sie hat gemeint sie weiß nicht ob sie nach Madagaskar noch in Deutschland arbeiten kann (…so wie sich die Weißen anstellen  ).

Am Donnerstag hab ich meinen ersten Nachtdienst mitgemacht. (Die meisten Ärzte haben zwei Nachtdienste in der Woche. Da arbeiten sie dann 24 Stunden am Stück). Wir haben einen kleinen Jungen geboren (sonst war nichts los). Die Geburten im Krankenhaus sind schon anders als die hier zu Hause. Die Kinder und die Mutter bekommen viele Medikamente und es gibt einen gescheites Bett zum gebären. Außerdem bleiben die Frauen noch eine Weile unter Beobachtung (hier zu Hause gibt es Frauen die 30 Minuten nach der Geburt mit dem Baby unterm Arm nach Hause stapfen). Die Hebamme hat gemeint bei der nächsten Geburt darf ich das Baby rausholen und die Nabelschnur abschneiden…. Na mal schaun.

Am Samstagnachmittag sind wir in ein Dorf gefahren um dort Beschneidungen durchzuführen. Das Dorf besteht aus vielen kleinen Lehmhäuschen und einer Kirche. Die Kirche ist eine große Bretterhütte mit vielen Löchern in der Decke. Eigentlich sollten wir dort 4 Jungs beschneiden aber es ist nur einer gekommen. Das schwierige bei den Beschneidungen ist, dass die Anästhesie nur 10 Minuten hält. Das heißt man muss sich von Anfang an beeilen sonst zappeln die Jungs beim Nähen zu viel. (Das war bei mir beim letzten mal so). Die Kleinen bringen drei Leute mit, die sie festhalten. Zwei für die Beine und einen für den Oberkörper. Ich habe inzwischen gar keine Angst mehr vorm Nähen und Schneiden. Die Stiche sind einfach und ich schaffe es auch schon meistens mit einem Versuch durchzustechen!
….ach, jetzt wurde ich schon wieder unterbrochen. Es gibt schon wieder eine Geburt! – eine besondere! Das ist meine erste Geburt, bei der der Mann da bleibt (sonst warten sie immer draußen oder kommen gar nicht). Aber es dauert noch ein paar Stunden, also kann ich noch ein bisschen weiter schreiben.

Ich habe mich an Madagaskar gewöhnt. Hier im Viertel kennen mich schon alle Leute und auch in den Bussen und auf den Märkten fühle ich mich nicht mehr zu weiß. Das Leben ist nicht mehr so anstrengend wie vorher. Die ersten vier Wochen waren echt ermüdend. Ich fühlte mich immer beobachtet und jeder kleinste Spaziergang hat mich wegen der vielen Eindrücke ziemlich geschafft. Inzwischen verstehe ich das meiste was die Menschen mir sagen und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass man hinter meine Rücken über mich redet (oder zumindest fange ich an zu verstehen was gesagt wird). Außerdem hab ich mein Programm zurückgeschraubt. Ich gehe nicht mehr tanzen und lebe sehr langsam (ich lass mir immer viel Zeit und plane nichts mehr). Ich versuche noch so viel wie möglich das Leben hier einfach zu genießen, den die Zeit vergeht so schnell und mein Aufenthalt ist fast schon vorbei. Mir bleiben nur noch drei Wochen Praktikum im Krankenhaus. Diese Woche in der Chirurgie, eine Woche beim Zahnarzt und eine Woche bei den Augen. Danach reise ich noch drei Wochen durchs Land und dann komm ich auch schon wieder.
Ich träume schon sehr viel von Witten (der Uni wo ich hin will). Vor kurzen hab ich geträumt dass meine Bewerbung zu spät angekommen ist und ich nicht mehr bei der Aufnahme mitmachen kann. …Gott sei Dank weiß ich dass meine echte Bewerbung schon angekommen ist. Oft wundere ich mich hier, wie oft ich an Österreich, Deutschland und euch alle denke. Ich schaffe es nicht einfach vor mich hinzuleben. Obwohl ich jeden Tag liebe und wirklich glücklich bin zähle ich ständig die Wochen die mir noch bleiben. Ich weiß nicht woran das liegt. Vielleicht sind drei Monate einfach doch zu kurz. Oft denke ich, wenn ich länger hier wäre würde ich dies und das machen. Zum Beispiel mein Zimmer schöner einrichten. Anfangen gescheit zu Frühstücken. Meine Kleider öfter waschen. Vielleicht würde ich mir ein Fahrrad kaufen, oder endlich neue Batterien für meine Taschenlampe… aber so schieb ich diese Sachen vor mir her, weil ich ja eh bald zurückkomme.
Die Madagassen sind sehr anders als die Europäer. Vor kurzem hab ich über Goethes Faust nachgedacht (das war ja mein Deutsch Spezialgebiet bei der Matura) und bin draufgekommen, dass der hier wirklich nicht her passt. Das, was Goethe dort als so essentiell beschreibt, das menschliche Streben, das ständige arbeiten, den Forschertrieb oder einfach nur die Ungeduld und das ständige Fragen und suchen nach Antworten, finde ich hier nicht. Das klingt jetzt sehr böse (ist aber durchaus auch positiv gemeint), aber hier sehe ich den Mensch wirklich oft nur als sehr intelligentes Tier. Er lebt sein Leben vor sich hin und ist zufrieden. Er kommt nach Hause und schaltet den Fernsehe ein und isst. Er steht auf der Straße und wartet. Aber er wartet auch nichts, weil ja doch nichts passiert und sich doch nichts ändert. Die meisten Deutschen können das nicht (ich kann das bei uns auch nicht). Einfach nur rumstehen und froh sein. Ich kann nicht einfach so nur rumstehen. Ich muss irgendwas machen oder planen. Hier erledigt sich das Hinterfragen der Dinge mit dem strengen Glauben, und der Sinn des Lebens wäre damit auch geklärt.

…und jetzt wurde ich schon wieder unterbrochen. Das Baby ist jetzt da! Ein Mädchen und der Papa hatte während der Geburt mehr Angst als die Mama. Die Mama von der Mama hat geweint und ich hab noch nie so eine schöne Geburt gesehen. Und weil’s jetzt schon sehr spät ist geh ich jetzt schlafen.

@Kaweechelchen: …endlich antworte ich dir! Ich freu mich wirklich, dass es auch Leute gibt, die ich sogar nicht kenne, die meine Sachen hier lesen! Sobald ich wieder zu Hause bin werd ich dir genau erzählen wie ich hierzu gekommen bin!!! Danke auf jeden Fall für deine Hilfe. Das ist echt lieb von dir!

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